Enquete-Kommission 17/2 „Corona-Pandemie“ des Landtags von Rheinland-Pfalz

 

Für die Sitzung vom 30.10.2020 wurde ich als sachverständige Auskunftsperson für diese Kommission benannt. Hier habe ich mich auch zum Thema der Inflationsgefahr geäußert.

 

meine schriftliche Stellungnahme:             https://dokumente.landtag.rlp.de/landtag/vorlagen/2-35-17.pdf

 

Schriftliche Antwort auf die Frage:
Welche Lehren ziehen Sie aus fachlicher Sicht aus den bisherigen Erfahrungen mit der Corona-Pandemie für … die Entwicklung der deutschen und der rheinland-pfälzischen Wirtschaft?

Die Unternehmen in Deutschland und auch in Rheinland-Pfalz sind unterschiedlich betroffen. Es gibt wenige Branchen, die von der Krise profitiert haben. Dazu gehören die Pharmaindustrie der Versandhandel und der Lebensmitteleinzelhandel, der während der Schließung anderer Geschäfte im Non-Food-Bereich erhebliche Umsatzsteigerungen hatte. Auch Alkohol hat sich sehr gut verkauft. (https://www.rnd.de/wirtschaft/klopapier-absatz-gesunken-alkohol-und-kondome-vor-ostern-begehrt-MOEOLJPQNQLDHUI7LUPG6U6KY4.html) Erhebliche Verluste hatte der Bekleidungseinzelhandel, der wegen der Geschäftsschließungen in Frühling praktisch die gesamte Frühjahrskollektion entsorgen musste. Für das Veranstaltungsgewerbe, Diskotheken und die Reisebranche ist die Situation existenzbedrohend. Die Beispiele sind nicht abschließend.   

Die Verluste der stark betroffenen Unternehmen werden in 2020 ein Mehrfaches eines Jahresgewinnes ausmachen. Das hat zur Folge, dass die Unternehmen nach Einreichung der Steuererklärungen für 2020 einen Verlustrücktrag auf die Jahre 2018 und 2019 beantragen werden, was zu hohen Steuererstattungen führen wird. Das wird besonders die Kommunen hart treffen, die nach dem Ausfall der Gewerbesteuervorauszahlungen in 2020 noch Steuern der Vorjahre erstatten müssen. Das würde neue Rettungsschirme der Länder erfordern. Es ist zu befürchten, dass dies in den bisherigen Haushaltsentwürfen noch nicht berücksichtigt ist.

Die Wirtschaft braucht auch bei einer wirtschaftlichen Erholung in 2021 Planungssicherheit. Bund, Länder und Kommunen hatten neben den Steuerausfällen auch erhebliche Kosten, nicht nur für Finanzhilfen an Unternehmen und private Haushalte. Die dadurch verursachten extremen Schulden müssen in den folgenden Jahren zurückgezahlt werden, was nur mit massiven Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen möglich sein wird. Wegen der Bundestagswahl vermutlich im September 2021 wird es aber frühestens ab 2022 konkrete Aussagen der Politik geben, mit welchen Belastungen die Bürger und die Unternehmen rechnen müssen. Diese Ungewissheit zwingt die Unternehmen zu einer sehr zurückhaltenden Geschäftspolitik und auch die Bürger werden abwartend reagieren. Beides wird die wirtschaftliche Erholung in 2021 – sollte sie nicht schon mit einem weiteren Lockdown erstickt werden – ausbremsen. Andererseits ist aber auch nicht zu erwarten, dass die Parteien vor der Wahl klare Aussagen zur Schuldentilgung machen werden. Auch 2021 werden sich die öffentlichen Haushalte enorm verschulden müssen. Aber auch die Kapitalmärkte haben keine Planungssicherheit und werden höchstens kurzfristige Finanzierungen gewähren. Im Zweifel würde die EZB ihr Anleihenkaufprogramm auffrischen, also praktisch neues Geld drucken. Es ist wahrscheinlich, dass mindestens Italien für seine Neuverschuldung darauf zurückgreifen muss.

Aus der Zurückhaltung der Politik vor der Bundestagswahl ergibt sich eine zweite Unsicherheit.
Die modernen Währungen haben keine Golddeckung. Ihr Wert ergibt sich allein aus dem Vertrauen der Märkte und der Bürger. Geld hat solange einen Wert, solange das Vertrauen erhalten bleibt, und beim Vertrauensverlust verliert das Geld seinen Wert. Damit gleicht der Euro der Aktie von Wirecard. Sie hatte einen Marktwert, solange die Börse an die in der Bilanz ausgewiesenen Werte geglaubt hat.

Es ist absehbar, dass ein massiver Subventionsabbau zur Finanzierung der „dicken Rechnung“ wie schon immer an den Lobbyisten scheitern wird. Massive Steuererhöhungen wären auch nicht politisch durchsetzbar, und sie würden die Wirtschaft abwürgen. Also bleibt nur die Finanzierung über die EZB und am Ende ein Weginflationieren der Schulden! Das wird man auf den internationalen Geld- und Kapitalmärkten schon jetzt erkennen und es dürften bei den institutionellen Anlagern Szenarien ausgearbeitet werden, wie man sich bei einer beginnenden Inflation im Fall der Fälle schnell aus dem Euro zurückziehen kann. Dabei vertrauen sie auf ihre Schnelligkeit und sie wollen nicht voreilig einen Crash auslösen.

Im Gegensatz zu 1923 und der Reichsmark ist der Euro keine reine Binnenwährung. In Osteuropa, aber auch in der Dom. Rep. oder auf Kuba wird der Euro gern akzeptiert. Die bisherige Ausweitung der Geldmenge (seit 2008) ist über die Kapitalmärkte in der Welt versickert. Dieses Geld ist damit aber nicht weg, sondern nur an einem anderen Ort! Mit dem Computerhandel können die institutionellen Anleger, russische Oligarchen und andere Investoren zudem sehr viel schneller reagieren als die kleinen Sparer. Im Fall eines Vertrauensverlusts würden dann wahrscheinlich ziemlich plötzlich große Geldmengen aus dem Ausland zurückfließen, um hier mit dem gesetzlichen Zahlungsmittel (das international vielleicht schon nicht mehr akzeptiert würde) die Flucht in die Sachwerte anzutreten. Auch die russischen Oligarchen werden ihre Schäfchen noch rechtzeitig ins Trockene bringen. Wenn die inländischen Sparer diese Strategie einschlagen, sind die guten Objekte schon weg.

Die inländische Geldmenge M3 im Euroraum betrug nach vorläufigen Daten der EZB und der Österreichischen Nationalbank im 2. Quartal 2020 schon über 130 % des Bruttoinlandsprodukts. Seit der Euro-Einführung hat sich diese Relation damit fast verdoppelt. Weil die meisten Zahlungen monatlich geleistet werden würden für den reinen Zahlungsverkehr 8,3 % ausreichen. Die restliche Geldmenge wird somit als Wertaufbewahrungsmittel genutzt. Damit besteht eine latente Inflationsgefahr für den Fall eines massiven Vertrauensverlustes. Eine akute Inflationsgefahr ist dagegen derzeit nicht zu erkennen. Zur Vertiefung dieser Frage wird auf die Website https://www.prof-mueller.net/corona/inflation/ verwiesen.

Es geht nicht darum, Angst vor einem zweiten 1923 zu verbreiten. Es geht um eine eindringliche Warnung an die Politik, die Märkte nicht zu verunsichern, damit das international zirkulierende Geld im Ausland bleibt und keine Kettenreaktion auslöst. Weil langfristige Ausgaben auch langfristig finanziert werden sollten, wäre für die Beruhigung der Märkte zeitnah ein langfristiger Tilgungsplan aufzustellen.

 

mündliche Stellungnahme:

 

Die Ausschusssitzung fand am 30.10.2020 als Videokonferenz statt. Das 74-seitige Protokoll findet sich auf                                    https://dokumente.landtag.rlp.de/landtag/ausschuesse/ek2-5-17.pdf

Seite 32-33:

Zur Leitfrage 4, die eher meine Kompetenzen betrifft:
Ich möchte auf einen Aspekt hinweisen, der bisher noch nicht die nötige Aufmerksamkeit erhalten hat. Das größte wirtschaftliche Risiko sehe ich in der ungeklärten Finanzierung der gigantischen Ausgaben, die wir aktuell tätigen. Die internationale Währung ist weder der Euro, noch der Dollar, es ist das Vertrauen. Auch die Aktie von Wirecard hatte einen Wert, solange die Börse dem Unternehmen vertraut hat. Und wenn das Vertrauen in eine noch so große Währung verloren gehen würde, dann wäre der Absturz der gleiche wie bei Wirecard.

Man sollte sich einmal in die Lage eines Fondsmanagers hineinversetzen, der vom Finanzminister um ein Darlehen gebeten wird. Privatleute müssen ihrer Bank zunächst drei Fragen beantworten. Erstens: Wozu brauchen sie das Geld? Zweitens: Wie lange brauchen sie es? Drittens: Wie wollen sie es zurückzahlen?
 
Aktuell wird das Finanzministerium aber nur die erste Frage beantworten können, und das für einen Banker wohl auch nicht gerade befriedigend. Hinter vorgehaltener Hand bekommt man aus dem Finanzsektor die Einschätzung, dass der Staat diese Beträge nur sehr schwer zurückzahlen könne, vor allem dann, wenn man nicht an Subventionsabbau und Ähnliches herangeht. Am Ende gibt es die Sorge, dass es einen Staatsbankrott oder eine Hyperinflation gibt.
 
Auch wenn der Staat der Schuldner ist, wollen die Investoren ihr Geld zurück. Sie wissen, dass Deutschland den Euro dominiert und dass die Politik vor der Bundestagswahl Ruhe halten will. Einen Staatsbankrott wird es also bis zum September 2021 definitiv nicht geben. In der Situation würde ich als Fondsmanager nur Verträge eingehen, die vor der Wahl fällig werden und wenn bis zum Sommer die Frage, wie das Geld zurückgezahlt werden soll, nicht zufriedenstellend beantwortet wäre, würde ich definitiv das Geld zurückverlangen. Und wenn alle Fondmanager die Lage ähnlich einschätzen, dann hätte der Finanzminister wirklich ein Problem. Dann bliebe ihm im nächsten Sommer kurzfristig nur noch der Weg zur EZB mit der Bitte, die digitale Notenpresse anzuwerfen und das fehlende Geld zu drucken. Dann hätten wir eine Situation, die mit dem Januar 1923 nach der Besetzung des Ruhrgebietes Ähnlichkeiten hätte. Ich sage Ähnlichkeiten, nicht die gleiche Situation.
 
Den internationalen Geld- und Kapitalmärkten wäre eine Inflation lieber als ein Staatsbankrott, denn das ist kein plötzliches Ereignis und die institutionellen Anleger können sehr schnell reagieren. Sie haben mit Sicherheit Pläne in den Schubladen, wie sie ihre Anlagen im Bedarfsfall schnell abstoßen können. An den Märkten sind gigantische Geldmengen unterwegs. Die von der EZB seit der Lehman-Pleite deutlich erhöhte Geldmenge, die von den internationalen Märkten weitgehend aufgesaugt wurde, kann auch wieder zurückfließen.
 
Ich halte es für eine dringende Aufgabe, das Vertrauen in internationale Geld- und Kapitalmärkte zu stützen und eine mögliche Kettenreaktion zu verhindern. Die Politik muss die gleichen Fragen beantworten, wie der Normalbürger, der zu seiner Bank geht. Wir brauchen im nächsten halben Jahr einen soliden Tilgungsplan und wir müssen ausrechnen, welche Beträge ab wann mit Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen aufgebracht werden müssen. Die konkreten Maßnahmen würden dann in den Bundestagswahlkampf hineinreichen. Die Bereitschaft der Politik, ein unangenehmes Thema ausnahmsweise vor einer Bundestagswahl anzupacken, könnte das nötige Vertrauen auf den internationalen Märkten erzeugen, dass nämlich wirklich die Bereitschaft besteht, diese Gelder auch zurückzuzahlen und sie nicht wegzuinflationieren.

Jeder Versuch, dieses Thema aus dem Bundestagswahlkampf herauszuhalten, könnte von den Märkten dagegen als Anzeichen gewertet, dass sich die Euroländer auch einen Staatsbankrott zu-mindest vorstellen könnten. Ein Vertrauensverlust in die Politik hätte dann einen Wertverlust der Währung zur Folge, und den kann niemand wollen.
 
Wir sollten uns nicht von den kurzfristigen Einschätzungen blenden lassen. Kurzfristig gibt es keine akute Inflationsgefahr. Die erhöhte Geldmenge und die rückläufige Wirtschaftsleistung werden durch die geringere Umschlaghäufigkeit der Geldmenge kompensiert. Aber mittelfristig gibt es mindestens eine latente Gefahr, ähnlich wie bei einer Lawine in den Bergen. Sie kann sich auf-bauen und manchmal schon aus geringem Anlass abgehen.


Vielen Dank.

 

Nachfrage:

 

Seite 50
Abg. Dr. Sylvia Groß:
Die zweite Frage ist: Sie haben gesagt, dass sehr viel Geld außerhalb Europas international auf den Märkten zirkuliert. Haben Sie konkrete Anhaltspunkte, um wie viel Geld es sich dabei handelt? Und: Haben Sie denn schon in gewisser Weise konkrete Anzeichen dafür, dass die Märkte nervös werden? Wie bewerten Sie vor diesem Hintergrund das Verhalten der Politik?


Seite 52-53
Prof. Dr. Werner Müller:
 
Zu den .. Fragen von Frau Dr. Groß:


Zu Anhaltspunkten, wie viel Geld auf den Märkten unterwegs ist: Das ist ein bisschen schwierig. Ich möchte mich eigentlich nicht mit einer Zahl irgendwo zitieren lassen. Ich habe eine Quelle gelesen, die von insgesamt dem 29-Fachen der internationalen Wirtschaftsleistung spricht. Das halte ich für etwas hochgegriffen, es ist sicher eine gewisse Oberkante der Schätzungen.

Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, eine inzwischen staatliche Organisation, schätzt traditionell immer ein bisschen niedriger. Sie kommt jetzt, was die Derivate angeht, also nur ein Segment, aber ein sehr großes, auf das Zehnfache des weltweiten Bruttoinlandsprodukts, was aktuell als Geldmenge zirkuliert. Das sind nicht die Handelsumsätze, sondern das ist das Geld, was dahintersteht, also geteilt durch die Umlaufgeschwindigkeit. Auf das Zehnfache, das wäre schon ein richtig großer Brocken, finde ich.

Zur Frage nach dem Vertrauen: Ich würde sagen, wenn ein Finanzminister davon spricht, dass er mit einer Bazooka Steuergelder verballern will, um einen „Wumms“ zu erzeugen – sicher ein bisschen zusammengefasst, die Aussage –, ist es nicht unbedingt vertrauensbildend. Auch wer Staatsanleihen kauft, möchte sein Geld am Ende zurückbekommen. Da sollte man vielleicht doch ein bisschen seriös auftreten, und ein bisschen ernsthafter.

Was Nervosität der Märkte angeht: Ich würde es noch auf der Stufe davor sehen. Die Märkte sind noch nicht nervös, aber wir haben ein Warnzeichen: Der Goldpreis ist in der Nähe eines Allzeithochs. Er ist wieder ein bisschen zurückgegangen, aber er ist nicht wieder richtig gefallen. Das zeigt immer, dass viele Anleger ein deutliches Bedürfnis nach Sicherheit haben. Wir müssen auch berücksichtigen: Wenn die Preise hoch sind, werfen die Gold produzierenden Länder, hauptsächlich Australien, Russland, Südafrika, wieder viel Gold auf den Markt. Wenn der Preis dann immer noch oben bleibt, sollte man das beobachten, finde ich.

Die Verunsicherung scheint etwas nachhaltiger zu sein, als wenn es einfach nur eine Delle wäre, aber man muss natürlich schauen, was die Zukunft bringt.